Therapie
Eine spezielle Therapie für das Locked-in Syndrom gibt es nicht,
doch haben sich in der Praxis bei Betroffenen intensive Kombinationen von Krankengymnastik,
Ergo- und Logopädie bewährt.
Prinzipiell ist festzustellen, daß alle Therapien,
die besonderes Gewicht auf den kognitiven [bewusstseinsmäßigen] Zusammenhang von Wahrnehmung und Bewegung legen,
zur Behandlung geeignet sind.
Wichtig ist der frühestmögliche Beginn einer möglichst intensiven Behandlung bezüglich Therapien und Mobilisation.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass der Rehabilitationserfolg direkt von (mit) dem Zeitpunkt des Beginns abhängt(zusammenhängt),
also je früher mit den Maßnahmen begonnen wird, desto umfassender und nachhaltiger ist der Erfolg.
Dabei muss man sich im Klaren sein, dass die Intensität und Dauer der Behandlungen rapide zurückgeht,
sobald der Patient die stationäre Phase verlässt.
Deshalb können wir nur den Rat geben,
möglichst lange in stationärer Behandlung zu bleiben und keinesfalls eine frühe Entlassung gutzuheißen.
Der Verein LIS e.V. unterstützt Betroffene bei der Durchsetzung dieser Erkenntnisse gegenüber Kostenträgern
durch seine Beratung und die Veröffentlichung von wissenschaftlichen Ergebnissen.
Therapie so viel und so schnell wie möglich !
Die Therapie wird in drei Bereiche unterteilt:
Gelähmt - was nun?
Physiotherapie ist die wichtigste Maßnahme zur Bekämpfung einer hochgradigen Lähmung. Allerdings gibt es unterschiedliche Arten der Vorgehensweise. Es wird heute gefordert, dass die Therapie evidenzbasiert zu sein hat, also auf neuestem praktischen und theoretischen Wissen beruhen soll. Noch gibt es nicht sehr viele Therapiestudien, die den Erfolg der verschiedenen Verfahren geprüft haben. Es hat sich jedoch gezeigt, dass diese unterschiedlich wirksam sind und dass sie möglicherweise nur in bestimmten Stadien der Erkrankung ihre optimale Wirkung entfalten. Im Folgenden soll besonders auf die erste Phase einer schweren Lähmung eingegangen werden.
Um selbständig zu leben, sind wir auf unsere Muskeln angewiesen, die uns die unterschiedlichsten Bewegungen ermöglichen. Gleichzeitig leisten sie aber auch Haltearbeit, sodass wir unsere Position gegen die Schwerkraft oder gegen Widerstände behaupten können. Unser Gehirn plant die dazu jeweils notwendigen Arbeitsaufträge, die über Nervenbahnen an die Muskeln übermittelt werden.
Diese Nervenverbindungen werden zu Beginn unseres Lebens nach einem festen, genetisch gesteuerten Plan aufgebaut. Zuerst werden die Vernetzungen hergestellt, die uns Bewegungen ermöglichen. Über sie erhalten unsere Muskeln, z. B. die Beugemuskeln, den Befehl sich zusammenzuziehen. Gleichzeitig wird den Gegenspielern dieser Muskeln, also den Streckmuskeln, der Befehl gegeben nachzugeben. Durch diese Kombination kommt es zu einer Beugebewegung. Erst wenn sichergestellt ist, dass allen Muskeln nicht nur Arbeitsaufträge, sondern auch genügend Befehle zur Entspannung übermittelt werden können, werden jene Nervenbahnen aufgebaut, die die Halteaktivität übermitteln, da erst jetzt diese Muskelspannung auch wieder gehemmt werden kann. Lange Zeit hatte man angenommen, dass nach diesem Reifungsprozess das Nervensystem endgültig angelegt und "fest verdrahtet" sei. Entsprechend konnte man nach einer Zerstörung der Nervenbahnen, wie sie beim Locked-in Syndrom auftritt, nicht erwarten, dass sich eine Lähmung zurückbildet. (Ausgenommen die Fälle, in denen die Nerven nicht zerstört, sondern nur geschädigt sind. Solche Zellen können in den ersten Monaten wieder heilen, so dass eine "Spontanerholung" auftreten kann.)
Die Forschungen der letzten Jahre haben allerdings gezeigt, dass das Gehirn des Erwachsenen sehr wohl in der Lage ist, sich umzugestalten. Es werden sogar neue Nervenzellen gebildet und eingebaut (1,2). Aber nicht nur das gesunde Gehirn kann sich verändern. Inzwischen ist bekannt, dass auch das geschädigte Gehirn über ein bis vor kurzem noch nicht für möglich gehaltenes Reparaturpotenzial verfügt. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass der Neuaufbau von Nervenbahnen aber nicht nach einem festen Plan geschieht, sondern individuell die Verbindungen aufgebaut werden, die der Betroffene immer wieder versucht zu benutzten, für die immer wieder ein "Bedarf" gemeldet wird (3).
Damit würde dem Verhalten des Patienten eine entscheidende Rolle bei der Reparatur zukommen. Es könnte aber auch für fehlerhafte Ausbesserungen mitverantwortlich sein. So gibt es Hinweise, dass die Ausbildung von Spastizität, die beim Locked-in Syndrom mit der Zeit auftritt, durch das Verhalten des Patienten verstärkt werden kann (4). Und zwar dadurch, dass er - wie wir alle im Alltag - viel mehr Haltespannung plant als Bewegungsaktivität. Die Nervenverbindungen, die diese Kommandos übertragen, würden somit schneller aufgebaut werden als die für Bewegungsbefehle, bis schließlich Muskeln wieder Spannung erzeugen können. Da aber noch keine Übertragungswege für die Befehle zur Entspannung zur Verfügung stehen, kann diese Art der Muskelarbeit nicht wieder begrenzt werden. Nach einer Hirnschädigung wäre demnach nicht ein normales, sondern ein verändertes, schädigungsorientiertes Verhalten wichtig (5), sodass zunächst - wie zu Beginn des Lebens - die Nervenbahnen für Bewegungsaktivität aufgebaut werden.
Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse wurde in den letzten Jahren ein neues Therapieverfahren, das "systematische repetitive Basis-Training" entwickelt (6), das den Patienten zu einem schädigungsorientierten Verhalten anleitet und ihn dabei unterstützt. Stark vereinfacht beschrieben: Es werden zunächst nur die Einzelbewegungen in jedem Gelenk durchgeführt. Erst wenn sie wieder möglich sind, d.h., wenn Muskeln wieder verkürzt, aber auch wieder verlängert werden können, wird dann die Haltearbeit mitgeübt. Danach können die Einzelbewegungen und die Haltearbeit dann zu den unterschiedlichsten Tätigkeiten kombiniert werden.
Dieses Verfahren wurde in einer Studie an Schlaganfallpatienten untersucht und die Wirksamkeit bei Halbseitenlähmungen konnte bestätigt werden (7). In einer Einzelfallstudie bei einem Patienten mit Locked-in Syndrom zeigte sich, dass das SRBT auch für dieses Krankheitsbild geeignet sein kann (8). Bei Lähmungen, bei denen in den ersten Monaten keine Spontanerholung auftritt, dauert es ca. 6 Monate, bis erste leichte Bewegungsansätze spürbar werden und ungefähr 18 - 24 Monate, bis wieder Alltagstätigkeiten möglich sind. Vorraussetzung ist, dass der Betroffenen bei der Therapie die durchgeführten Bewegungen selbst versucht und der Therapeut sie sehr präzise aber nur so weit wie nötig unterstützt. In der ersten Phase ist jede Anstrengung verboten, da sie fast immer zur Verkrampfung führt. Tägliches Üben - wobei eine Pause am Wochenende möglich ist - scheint ebenfalls Voraussetzung zu sein.
Evidenzbasierte Physiotherapie bietet also auch für schwerstgelähmte Locked-in Patienten eine neue Hoffnung.
Literatur:
- 1. Kintner, C.: Neurogenesis in embryos and in adult neural stem cells. The Journal of Neuroscience 22 (2002)
639 - 643
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- 2. Nottebohm, F.: Why are some neurons replaced in adult brain? The Journal of Neuroscience 22 (2002) 624 - 628
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- 3. Nudo, R.J./ Milliken, G.W.: Reorganization of movement representations in primary motor cortex following focal ischemic infarcts in adult squirrel monkeys. Journal of Neurophysiology 75 (1996) 2144 - 2149
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- 4. Eickhof, C.: Kann Wahrnehmung die Lähmungen beim Patienten mit dem Locked-in Syndrom konsolidieren? In: Pantke, K.H., Kühn, C., Mrosack, G., Scharbert, G. (Hrsg): Bewegungen und Wahrnehmen. Schulz-Kirchner Verlag 2004, 43 - 47
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- 5. Platz, T.: Impairment-oriented Training (IOT) - scientific concept and evidence-based treatment strategies. Restorative Neurology and Neuroscience 22 (2004) 301 - 315
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- 6. Eickhof, C.: Grundlagen der Therapie bei erworbenen Lähmungen. Pflaum Verlag, München 2001
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- 7. Platz T./ Eickhof C./ van Kaick S./ Engel U./ Pinkowski C:/ Kalok S./ Pause M.: Impairment-oriented training or Bobath therapy for arm paresis after stroke: a single blind, multi-centre randomized controlled trial. Clinical Rehabilitation, im Druck.
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- 8. Eickhof, C.: Physiotherapie beim Locked-in Syndrom. L.o.g.o.s. interdisziplinär 9, (2001) 22 - 25
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Christel Eickhof
Physiotherapeutin
Definition Ergotherapie:
Ergotherapie begleitet, unterstützt und befähigt Menschen, die in ihren alltäglichen Fähigkeiten eingeschränkt oder von Einschränkung bedroht sind. Hierbei geht es darum, dass diese Menschen in ihrer Umwelt für sie bedeutungsvolle Betätigungen in den Bereichen Selbstversorgung, Produktion und Freizeit durchführen können. Dementsprechend ist Betätigung das therapeutische Medium und gleichzeitig das Ziel der Intervention.
Das Locked-In-Syndrom ist eine Erkrankung des zentralen Nervensystems.
Die ergotherapeutische Behandlung beinhaltet hierfür:
- Hemmung und Abbau pathologischer Haltungs- und Bewegungsmuster und Bahnen normaler Bewegungen
- Koordination, Umsetzung und Integration von Sinneswahrnehmungen
- Verbesserung der zentral bedingten Störungen von Grob- und Feinmotorik zur Stabilisierung sensomotorischer und perzeptiver Funktionen einschließlich der Verbesserung der Gleichgewichtsfunktionen
- Verbesserung von neuropsychologischen Defiziten und Einschränkungen der kognitiven Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit, Konzentration, Merkfähigkeit, Gedächtnis und Lese-Sinn-Verständnis, Handlungsplanung, Erkennen von Gegenständen, das Erfassen von Räumen, Zeit und Personen
- Erlernen von Ersatzfunktionen
- Entwicklung und Verbesserung der sozio-emotionalen Fähigkeiten u.a. in den Bereichen der emotionalen Steuerung, der Affekte oder der Kommunikation
- Training von Alltagsaktivitäten im Hinblick auf die persönliche, häusliche und berufliche Selbständigkeit
- Beratung bezüglich geeigneter Hilfsmittel und Änderungen im häuslichen Umfeld, gegebenenfalls Herstellung und Anpassung von Hilfsmitteln
- Teilhabe des Patienten an Beruf, Freizeit, Umwelt und dem öffentlichen Leben
Um die oben beschriebenen Ziele zu erreichen, greift der/die Ergotherapeut/in auf verschiedene Behandlungsansätze zurück, wie z.B. nach Perfetti, Bobath, Affolter, Johnston, Catillo Morales, Feldenkrais oder anderen.
Marita Storim (Ergotherapeutin)
Logopädie
Man findet gemeinsam mit dem Logopäden oder der Logopädin eine individuelle Kommunikationsmöglichkeit und Training
1. Schlucktraining
2. Sprech- und Stimmtherapie
2. Locked-In Patienten leiden an einer Störung des Sprechens und der Stimme, die Dysarthrie genannt wird. Im Akutstadium können die Atmung, die Stimme und die Beweglichkeit der Artikulationsorgane aufgrund von Lähmungen so beeinträchtigt sein, daß der Patient sich verbal nicht verständlich machen kann. Sein Sprachsystem ist in der Regel erhalten, so dass über andere Kommunikationswege (z.B. vereinbarte Signale wie ein Lidschluss für "Ja", zwei Lidschlüsse für "Nein", oder eine Buchstabentafel) Kontakt hergestellt werden kann.
Die Anschaffung und Einarbeitung in komplexere Geräte zur unterstützten Kommunikation (wie z.B. LightWriter, Aladin, Tellus mit MindExpress) ist unter Umständen eine sinnvolle Begleitung, da das Wiedererlangen der Verbalsprache viel Zeit und Mühe erfordert.
In der sprechtherapeutischen oder logopädischen Behandlung werden die gestörten Bereiche wieder angebahnt und trainiert. So kommen für die Atmung beispielsweise Übungen in Frage, die die Einatmung vertiefen und die Ausatmung verlängern. Im Bereich der Stimme können die Lautstärke und Modulationsfähigkeit geübt werden. Artikulatorisch ist z.B. für viele Patienten das Üben der Verschlußlaute und der Gaumensegelfunktion für die Verständlichkeit von Bedeutung.
Häufige, gezielte Übungen sind Voraussetzung für den Wiedererwerb der Sprechfähigkeit.
Adressen von Therapeutinnen, die diese Behandlungen durchführen, bekommen Sie über den DBL oder Verband der Atem-, Sprech- und Stimmlehrer.
Durchführungshäufigkeit:
In der Intensivphase fünf Mal pro Woche, im Verlauf reduzierbar auf zwei bis drei Mal wöchentlich.
Rezept: Zu erhalten beim Hausarzt, Neurologen oder Internisten
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